ZWISCHENRÄUME

 

Wasser und Farbpigmente, in einmal mehr und einmal weniger gesättigten Lösungen: das sind die bescheidenen Grundsubstanzen, aus denen Esther Nauseds Bildwelten bestehen.

 

Aus dem Zusammenspiel von kompakteren und transparenteren Farbflächen, aus breiteren und schmaleren Pinselstrichen entstehen Bildräume, deren Topographie geheimnisvoll bleibt. Es sind häufig weder landschaftliche Außenräume noch architektonische Innenräume, sondern undefinierbare Grenzbereiche, in denen ein verschwörerisches Zwielicht herrscht.

 

Trotz des hohen Abstraktionsgrades der Form entfaltet sich hier eine Bildwelt dichter Metaphorik. Von Haus aus unruhige Bewohner von Zwischenräumen (zwischen Außen und Innen, Gestern und Morgen, Leib und Seele) , finden wir in diesen Bildern Motive vor, die mit Grundthemen unserer Existenz vielfältig korrespondieren.

 

Suchen wir nicht ohnehin in jeder noch so abstrakten Vorlage, in jeder noch so strengen Signatur Hinweise auf die Theatralik des Lebens? Esther Nauseds Bilder sind, so spürt man, Destillate eines langen Prozesses, und Ergebnisse einer Suche nach Quintessenzen.

 

Die Regeln ihrer Kunst sind vielleicht vergleichbar mit denen der japanischen Haiku-Dichtung: äußerste Knappheit der Form bei größtmöglicher inhaltlicher Dichte, wobei das Inhaltliche nicht im Gegenständlichen zu suchen ist.

 

Alles Überflüssige wird vermieden, auf jedes Beiwerk verzichtet, zugunsten einer Bildgestaltung, die durch lakonische Schönheit besticht.

 

Frauke Moreno

 

 

 

 

 

PROZESSE FORMEN RAUM

Vernissage im Kunstverein Radolfzell, Villa Bosch

 

………Esther Naused konzentriert sich in ihren Arbeiten ganz auf das Medium der Tuschemalerei. In ihren stets kleinformatigen Bildschöpfungen erkundet sie mit souveräner Handhabung der Technik die mannigfachen Möglichkeiten von Hell-Dunkel-Kontrasten, von Schattierungen, Überlagerungen, Durchdringungen und Verläufen. Dabei schlägt sie mal kraftvoll-expressive und dynamisch-vitale Töne an, dann agiert sie wieder klar, streng und konstruktiv und übt sich in fast asketischer Zurückhaltung. Mal wirken ihre Arbeiten extrem sparsam und schlicht, dann wieder komplex und vielgestaltig. Immer sprechen ein überaus differenzierter gestalterischer Ansatz und eine bisweilen stimmungsvoll-poetische Note aus ihren Blättern.

 

1960 in Hamburg geboren studiert Esther Naused von 1980 bis 1984 zunächst Ethnologie und Kunstgeschichte an der dortigen Universität, bevor sie dann von 1982-86 ein Kunststudium an der Hochschule für bildende Künste anschließt, das sie in die Klasse von Gotthard Graubner führt, einem der bedeutenden Hauptmeister monochromer Farbmalerei in Deutschland. Seit 1994 ist Naused auf zahlreichen Ausstellungen im In- und Ausland präsent; seit 1984 agiert sie zudem als passionierte Bogenschützin und ist, nur nebenbei bemerkt, 1999 Weltmeisterin im japanischen Bogenschießen.

 

Die in dieser besonderen Disziplin nötige Einheit von gezielter Anspannung und meditativer Ruhe, von äußerer Kraft und innerer Balance, seelischer Harmonie und geistiger Kontemplation, spricht ebenso aus den Bildfindungen. Naused kombiniert und erweitert die reine, traditionsreiche Kunst der Tuschemalerei mit modernen, wässrig aufgelösten Acrylfarben und gelangt so zu einer koloristischen Belebung der nuancenreichen Schwarz-Weiß-Kontraste.

 

Dem Betrachter eröffnen sich faszinierende Bildwelten zwischen Fläche und Raum. Durch den Prozess der wohldosierten Pinselsetzung muten sie in gleichem Maße fragil und filigran, wuchtig und kompakt, fließend bewegt und tektonisch gebaut, minimalistisch und monumental an. Mal zwingt die Künstlerin ihre Formen zu hermetischer Geschlossenheit, dann atmen sie wieder eine offene Transparenz. Stets wird unser Auge in atmosphärische Bildtiefen zwischen Licht und Schatten gezogen. Wir meinen Fensterausblicke in helle Fernen zu erhaschen oder Landschaften und Horizonte im dämmrigen Schimmer eines Zwielichtes zu erkennen; wir meinen durch dünne Vorhänge vom Dunkel des Vordergrundes in ein geheimnisvolles Dahinter zu schauen oder Spiegelungen auf reflektierenden Wasseroberflächen wahrzunehmen. Auch Erinnerungen an Architekturen oder an fotografische Details schwingen mit. Es ist ein immerwährendes Spiel zwischen Nähe und Distanz, Bewegung und Ruhe, Flüchtigkeit und Beständigkeit, das den Betrachter von Bild zu Bild schreiten lässt.

 

Gestische Pinselschraffuren stehen neben blockhaften Konstruktionen, zarte, fast hingehauchte Formlavierungen neben harten und kantigen Flächenzonen. Variantenreich kombiniert Naused die klassische, aquarellhafte Nass-in-Nass-Technik mit trockenen Farbaufträgen der Tusche. Als intuitiv beschreibt die Künstlerin ihren Arbeitsprozess und erklärt (Zitat): „Meine Bilder entstehen nicht durch Kalkül und dezidierte Absicht, sondern tauchen aus der fließende Farbe auf, nehmen allmählich Konturen an und treten schließlich mit Entschlossenheit in Erscheinung, als hätten sie in einem dunklen Raum ungeduldig darauf gewartet, daß ihnen jemand die Tür öffnet.“ Nicht exakte Planung ist hier also am Werk, sondern vielmehr eine Synthese aus spontanem Malakt und kontrollierter Komposition. Naused scheint ihre Werke gleichsam aus dem Unterbewusstsein zu schöpfen und stößt eine Tür auf zu inneren Vorstellungswelten, bei denen auch seelisch-geistige Dimensionen anklingen.

 

Nauseds Faszination für bewegte Oberflächen mit Spiegelungen und Reflektionen artikuliert sich schließlich in ihrer experimentell angelegten Videoarbeit mit dem Titel „Luxx 2“. Aus der unmittelbaren Beobachtung heraus, und nicht ohne einen humorvollen Unterton, richtete sie ihre Kamera auf Licht- und Schattenspiele auf Wasser- und Papieroberflächen. Die Künstlerin nennt diese Videoarbeit ein „bewegtes Skizzenbuch“, das – wie ich meine – ganz wunderbar mit ihren übrigen Bildkompositionen korrespondiert und für uns noch einmal neue Licht-Klang-Räume entstehen lässt.

 

Konzentration auf das Elementare, entschiedene Reduktion der Mittel sowie Prägnanz und Präzision der Umsetzung prägen die Arbeiten von Esther Naused, mit denen ihr eine eigenständige Neuinterpretation der jahrhundertealten Kunst der Tuschemalerei gelingt………

Dr. Andreas Gabelmann, Eröffnungsrede zur Ausstellung